Harnsteine fallen längst in die Kategorie der Volkskrankheiten: Weltweit gehören sie zu den häufigsten Erkrankungen, in vielen Ländern mit stark zunehmender Tendenz. In Deutschland hat sich die Zahl der jährlichen Neuerkrankungen seit Mitte der 1980er-Jahre verdreifacht. „Wir gehen heute davon aus, dass etwa jeder Zehnte einmal im Leben einen Harnstein entwickelt, von denen dann grob jeder Vierte später erneut Steine bekommt“, sagt Prof. Dr. Thomas Knoll, Chefarzt der Sindelfinger Klinik für Urologie und zugleich der Vorsitzende des Arbeitskreises Harnsteine der Akademie der Deutschen Urologen. Da Harnsteine hierzulande seit einigen Jahren hinter Prostataerkrankungen die zweithäufigste Diagnose urologischer Kliniken sind, hatte die Deutsche Gesellschaft für Urologie e.V. (DGU) ihn als Koordinator für die Erstellung einer neuen „Leitlinie zur Diagnostik, Therapie und Metaphylaxe der Urolithiasis“ bestellt. Als Leitlinie der Qualität S2k hat die Arbeit einen umfassenden Konsensusprozess durchlaufen. Nach Worten von DGU-Präsident Prof. Dr. Stephan Roth wird die Bedeutung von Steinerkrankungen und der neuen Leitlinie beim 67. DGU-Kongress vom 23. bis 26. September 2015 in Hamburg mit einem Forum unterstrichen.
Die neue Harnstein-Leitlinie soll die Behandlung von Kindern und Erwachsenen mit Urolithiasis in Klinik und Praxis unterstützen, aber auch Patienten über Nieren- und Harnleitersteine informieren. Blasensteine, bei denen eine andere Kausalität als bei Steinen des oberen Harntrakts vorliegt, sind in der Leitlinie nicht berücksichtigt. Die zunehmende Häufigkeit von Harnsteinerkrankungen wird in der Leitlinie sowohl auf veränderte Lebensumstände und Ernährungsgewohnheiten zurückgeführt. Übergewicht, Bewegungsmangel, Diabetes sowie fortgeschrittenes Lebensalter und männliches Geschlecht sind laut Prof. Knoll bekannte Risikofaktoren. Aber auch eine verbesserte medizinische Diagnostik hat dazu geführt, dass Harnsteine häufiger als früher nachgewiesen werden.
Ebenso unterschiedlich wie die chemische Zusammensetzung von Harnsteinen ist, so mannigfaltig können auch die auslösenden Ursachen sein, die im Körper selbst und nicht durch äußere Einflüsse entstehen. Sie werden durch unzureichende Flüssigkeitsaufnahme und damit ungenügende Urinverdünnung verstärkt. Die Folgen der Harnsteinbildung können nicht nur äußerst schmerzhaft, sondern auch sehr schwerwiegend ausfallen: Manch Betroffener wird kleinere Steine zwar auf natürlichem Wege wieder los, bei größeren Exemplaren schafft aber nur eine der verschiedenen Therapieoptionen Abhilfe. Jedoch ist mit der Entfernung eines Harnsteins — egal ob natürlich oder therapeutisch — die Ursache nicht beseitigt. In vielen Fällen kommt es wieder zu Steinen. Prof. Knoll zu den Folgen: „Zwischen häufiger Steinbildung und der Nierenfunktionsstörung besteht eine klare Korrelation.“ So führt nach seiner Einschätzung die wiederholte Bildung von Kalziumsteinen in gut jedem zehnten Fall zu einer Niereninsuffizienz. Auch zwischen Herz- und Herzkreislauferkrankungen wie Bluthochdruck oder der Verengung der Herzkranzgefäße gebe es einen engen Zusammenhang mit Steinleiden. Der Urologe weiter: „Allerdings wissen wir noch nicht genau, was von beiden dabei Ursache und was Folge ist.“
Die neue Urolithiasis-Leitlinie, die eine Version von 2009 ersetzt, greift insbesondere aktuelle Entwicklungen in der bildgebenden Diagnostik und in der Intervention auf. So wird die Notwendigkeit diagnostischer Röntgenuntersuchungen wie etwa der Ausscheidungsurografie aufgrund ihrer Strahlenbelastung hinterfragt, stattdessen Ultraschall und Computertomografie weiter gestärkt. Gleiches gilt für operative Eingriffe, bei denen in immer mehr Fällen endoskopische Verfahren erste Wahl sind. Deutlicher herausgearbeitet wurde in der neuen Leitlinie zudem der therapeutische Umgang mit speziellen Risikogruppen wie Kindern und Schwangeren. Breiteren Raum nehmen auch die Themen Stoffwechseldiagnostik und Metaphylaxe ein, für die gut nachvollziehbare Handlungsvorschriften entwickelt wurden. Besonders die therapeutische Nachsorge ist nach Worten von Leitlinien-Koordinator Prof. Dr. Thomas Knoll sehr wichtig und wird häufig vernachlässigt: „Wenn der Schmerz erst einmal weg ist, vergessen viele die Harnsteine bald wieder. Ohne Metaphylaxe liegt das Rezidivrisiko, abhängig von der Art der Steine, jedoch über 50 Prozent. Eine risikoadaptierte Nachsorge kann dies deutlich senken.“
An der Leitlinienarbeit waren elf Arbeitskreise (AK) der Akademie der Deutschen Urologen, darunter der AK Kinderurologie, 13 weitere Fachgesellschaften und Berufsgruppen sowie auch ein Patientenvertreter beteiligt. Die neue „S2k-Leitlinie zur Diagnostik, Therapie und Metaphylaxe der Urolithiasis“, deren Herausgeber die DGU ist, wurde kürzlich auf der Internetseite der Arbeitsgemeinschaft der Wissenschaftlichen Medizinischen Fachgesellschaften e.V. (AWMF) unter der Registernummer 043–025 veröffentlicht.
Quelle: DGU